Ein neues Epitaph auf dem Johannisfriedhof für den Nürnberger Künstler Paul Ritter Erinnern an das Bewahren eines kulturellen Erbes
Dr. Silke Colditz-Heusl
Hinter dem Namen Ritter steht eine bedeutende Künstlerfamilie, allen voran die Brüder Paul und Lorenz Ritter. Zu den bedeutendsten Künstler-Vorfahren zählte der Ur-Urgroßvater Paul Ritters, der Nürnberger Bildhauer Christoph Ritter (1610-1676), den man von der Zusammenarbeit mit Georg Schweigger am Neptunbrunnen aus den Jahren 1650 - 1660 kennt. Zusammen mit Künstlerkollegen wie Wilhelm Wanderer, Carl Jäger, August v. Kreling, Rudolf Geißler, Heinrich Heim, Carl Fleischmann, Ludwig Kühn, Friedrich und Wilhelm Trost, Christoph Lenz, Wilhelm Heinrichsen, Johann Georg Riegel und vielen mehr prägte Paul Ritter in einem hohen Maße das künstlerische Profil Nürnbergs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch Nürnberg hatte ausgezeichnete Künstler des 19. Jahrhunderts, die man sich viel zu selten ins Bewusstsein holt.
Es gibt keinen anderen deutschen Maler im späten 19. Jahrhundert, der es verstand, in Kombination verschiedener Bildgattungen die Stadt in ihren kulturhistorischen Facetten so prägnant zu erfassen. Ritter entwickelte dabei eine Nürnberg-spezifische Bildart, Stadtansichten wie Kircheninterieurs, kombiniert mit festlichen Ereignissen, wie wir das von seinem bedeutendsten Werk „Die Einbringung der Reichskleinodien in Nürnberg“ kennen.
Ein absoluter Höhepunkt im Andenken an den bedeutenden Nürnberg Maler erfolgte im Juli 2020 mit der Enthüllung eines neuen Epitaphs auf dem Grabstein Paul Ritters. Das Grab auf dem Johannisfriedhof mit der Nummer E145 befindet sich im Bereich südlich der Johanniskirche, der im frühen 18. Jahrhundert entstand und ursprünglich als „Neuer“ oder „Hinterer Kirchhof“ bezeichnet wurde. Obwohl das Grab im Jahr 2014 zum Ehrengrab der Stadt ernannt wurde, fand es keine richtige Beachtung, über Jahrzehnte wurde es sehr stiefmütterlich behandelt. Der Grabstein zeigte sich schmucklos, ohne jeglichen Hinweis auf diesen bedeutenden Künstler.
Im Sommer 2018 haben sich Vertreter des Fördervereins Kulturhistorisches Museum Nürnberg e.V., der Altstadtfreunde Nürnberg e.V., der evangelischen Gehörlosen-Seelsorge am Egidienberg, des Landesverbands Bayern der Gehörlosen e.V. (München) und der Friedhofsverwaltung Nürnberg zusammengefunden, um die Errichtung und Gestaltung eines Epitaphs auf der Grabstätte in Gang zu setzen und sowohl konzeptionell als auch finanziell zu unterstützen.
Um dem Grab, das ursprünglich nur eine geringe Höhe von ca. 25 cm hatte, eine entsprechende Würdigung entgegenzubringen und zusätzlich den umliegenden Gräbern anzupassen, wurde dem Originalgrabstein eine 20 cm dicke Schweinstaler Sandsteinplatte untergelegt. Diese sollte auch der Stabilisierung dienen, da die Profilierung z.T. schon erheblich abgewittert ist und Risse durch den Originalstein laufen.
Für die künstlerische Konzeption, Gestaltung und Herstellung des Epitaphs wurde der Nürnberger Epitaphienkünstler Tom Haydn gewonnen, der mit der Ausführung dieser Arbeit ein ganz besonderes Werk zur Vollendung brachte.
Durch die Wiedergabe ausgewählter Werke Ritters soll das vom Künstler selbst so geschätzte Stadtbild Nürnbergs sowie die Stadtgeschichte gewürdigt werden. Als Vorlagen wurden Arbeiten ausgewählt, die Ritter im Original in verschiedensten Techniken ausführte.
Motive für das Ritter-Epitaph
Die Fassade der Frauenkirche ist ein Detail aus dem Ölgemälde „Der Marktplatz zu Nürnberg zur Zeit des Tuniers 1496“. Das Bild hängt jetzt im Gemeindehaus am Egidienplatz 33, das zugleich Sitz der evangelischen Gehörlosenseelsorge ist. Auch das Motiv des „Schönen Brunnen“ findet man in diesem Gemälde. Ursprünglich fertigte diesen Ritter jedoch 1871 als Stahlstich, genau als Aufriss- Darstellung für den Atlas zur Zeitschrift für Bauwesen, eine Art Musterbuch aus dem 19. Jahrhundert, das als Ergänzung der Zeitung für Bauwesen in Berlin herausgegeben wurde.
Der Wagen mit dem Baldachin, auf dem unter einer Decke in einer Kiste die Reichkleinodien zur ewigen Aufbewahrung nach Nürnberg gebracht wurden, ist ein Ausschnitt aus dem Gemälde „Die Einbringung der Reichskleinodien in Nürnberg 1424“. Zehn Jahre nach der Entstehung des neuen Deutschen Reiches wurde Ritter 1881 vom Magistrat der Auftrag zur Fertigung eines Monumentalgemäldes erteilt. Die Wiedergabe des mittelalterlichen Stadtbildes wurde in Kombination mit dem herausragendsten Ereignis der Stadtgeschichte als politische Botschaft in einen öffentlichen Raum, nämlich in das Treppenhaus des Rathauses, gestellt.
Seit 2016 wurde dieses bedeutendste Werk Ritters wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und bekam innerhalb einer Neukonzeption des Ausstellungsraumes „Krone – Macht – Geschichte“ im Stadtmuseum im Fembohaus einen prominenten Platz an der westlichen Schmalseite des Raumes. Im Zuge der Gesamtkonzeption „Historische Bildungsachse“ gehört Ritters Gemälde zur Kulturmeile „Rathaus - Fembohaus - Kaiserburg“ und bildet eine Art symbolischen Verbindungssteg von Reichs- und Stadtgeschichte.
Der Henkersteg mit Weinstadel und Wasserturm ist eines der wenigen Nürnberg-Aquarelle, das sich von Ritter erhalten hat. Während seines Berlin Aufenthaltes von 1852 bis 1853, wo er hauptsächlich für der Verlag Ernst & Korn Kupferstiche fertigte, nahm er Privatunterricht im Aquarellmalen. Es stammt aus der Zeit bevor er zunehmendes Interesse für die Ölmalerei
entwickelte.
Das Motiv der Holzschuherkapelle auf dem Johannisfriedhof hat Paul Ritter in einer Bleistiftzeichnung verewigt, die sich in den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg befindet. Das Skizzenbuch wurde für Paul Ritter zu einem ständigen „Wegbegleiter“, dem er sich einerseits anvertraut, durch das er sich andererseits als Gehörloser auch schriftlich seinen Mitmenschen mitteilen konnte. Die Zeichnung des Hl. Sebald, die dem Bronzerelief als Vorlage diente, entstammt einem Skizzenbuch von 1845 und gehört somit zu den frühesten Zeugnissen seiner künstlerischen Tätigkeit. Es ist anzunehmen, dass er mit diesem Skizzenbuch auch in Schwäbisch-Gmünd unterwegs war, wo er im Heilig-Kreuz-Münster die Heiligenfigur aus dem Sebaldus-Altar kopierte.
Unter den Reliefs wird das nach einer Fotografie gestaltete Konterfei Paul Ritters durch seine Größe besonders hervorgehoben. In der Gesamtkomposition zeigt es den Künstler, der auf seine Werke schaut.
Mit diesem außergewöhnlichen Epitaph leisten die daran beteiligten Vereine und Institutionen einen wichtigen Beitrag, dem geschichtsträchtigen Johannisfriedhof mit seinem weltweit einzigartigen Epitaphienschatz entsprechende Wertschätzung entgegenzubringen und dadurch auch die Epitaphienkunst fortzusetzen und zu bewahren.
Die Vergangenheitsrezeption Ritters kann einerseits als eine Art Flucht aus der fortschreitenden Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts interpretiert werden. Andererseits sind im sehnsüchtigen Rückblicken Warnrufe zu hören, die vor unüberlegten Schäden am harmonischen Gesamtbild Nürnbergs mahnen. Ritters Botschaft besteht darin, die Stadt und ihre Architektur aus reichsstädtischer Glanzzeit sowie ihre Bewohner und deren Sitten und Bräuche in bewahrender Erinnerung zu halten.
Bilder werden zum Bildungsvermittler von Geschichte, sie wurden aber auch zur Sprache eines gehörlosen Künstlers, der sich über seine Bilder ausdrücken konnte. Wie Paul Ritter es sich mit einen Bildern zum Ziel gemacht hat, die Einmaligkeit und Besonderheit des reichsstädtischen Nürnbergs herauszustellen, so soll dieses Epitaph auch dazu beitragen, den Künstler Paul Ritter in seiner Einmaligkeit ins Bewusstsein der Nürnberger zurückzuholen. Bis zum heutigen Tag gelten die Werke Paul Ritters für die Stadt Nürnberg als wichtige Geschichtsdokumente.